Winston Smith
Winston Smith ist der 39-jährige Protagonist des Romans. Er arbeitet im Propagandaministerium, wohnt in einer Wohnung der Victory-Wohnblöcke, raucht regelmäßig und trinkt Gin. Er hat ein Krampfaderngeschwür über dem rechten Sprunggelenk und wird als »kleine, zerbrechlich wirkende Gestalt« beschrieben, »deren Magerkeit durch den blauen Overall, der zur Einheitskleidung der Partei gehörte, noch betont wurde« (6). Er hat blondes Haar, fünf falsche Zähne, ein gerötetes Gesicht und raue Haut – er empfindet sich selbst als unattraktiv, denn er fragt Julia bei ihrem ersten privaten Treffen auf der Waldlichtung, ob es ihr unangenehm ist, ihn anzusehen (vgl. 163).
An seine Kindheit kann sich Winston kaum erinnern, doch es plagen ihn im Verlauf der Geschichte immer häufiger Träume von seiner Mutter und seiner Schwester, die in den 1950er-Jahren verschwunden sind. Winston hat außerdem eine gescheiterte Ehe mit Katharine hinter sich, die sich den Vorstellungen der Partei vollständig angepasst und Sex nur als Dienst an der Partei angesehen hatte.
Weiterhin ist Winstons Name auffällig, denn er teilt seinen Vornamen mit Winston Churchill, einem der bedeutendsten britischen Staatsmänner. Ebenfalls fällt Winston Smiths Geburtsjahr 1945 auf den Höhepunkt von Churchills politischer Macht, was den Zusammenhang noch verstärkt (vgl. Böker 2020: 2). Der Nachname hingegen ist ein gewöhnlicher englischer Nachname, wahrscheinlich sogar der gewöhnlichste englische Nachname.
Der Name weist auf ein wichtiges Merkmal der Figur hin: Winston Smith ist geprägt von einem tiefen inneren Konflikt. Obwohl er äußerlich den Anschein eines loyalen Parteimitglieds gibt, hegt er insgeheim Gedanken und Sehnsüchte nach individueller Freiheit und Wahrheit. Er zweifelt an der Ideologie des Parteistaates und sehnt sich nach einem authentischen Leben und persönlichen Beziehungen.
Es wird ersichtlich, dass Winston keine eindimensionale Figur ist. Der personale Erzähler lässt den Leser an all seinen Gedanken und Gefühlen teilhaben und macht ihn so zu einer ausgearbeiteten und menschlichen Figur, mit der sich der Leser auch identifizieren kann (vgl. Ellenrieder 2021: 21).
Winston legt ein verbotenes Tagebuch an und beginnt eine Liebesbeziehung mit Julia, um in Form des außerehelichen Sexualakts gegen die Partei zu rebellieren. Im Gegensatz zu Julia hat er jedoch ständig den Tod, der sie sicher als Strafe erwartet, vor Augen. Je weiter die Beziehung fortschreitet, desto weiter entwickelt sich Winstons rebellische und aufsässige Natur. Er durchlebt einen emotionalen Wandel von anfänglicher Resignation hin zu einer wachsenden Entschlossenheit. Seine Begegnung mit Julia verstärkt seine Leidenschaft für individuelle Freiheit. Er ist besessen von dem Wunsch, mehr über die Vergangenheit und die Ziele der Partei zu erfahren. Er ist bereit, sein Leben und auch das anderer dafür zu opfern, denn er tritt mithilfe von O’Brien in die Widerstandsbewegung »Die Bruderschaft« ein, oder vermutet das zumindest.
Denn O’Brien entpuppt sich als Mitglied der Gedankenpolizei, das ihn die ganze Zeit beobachtet hatte. Winston wird von der Partei gefangen genommen und einer Gehirnwäsche unterzogen, was dazu führt, dass seine rebellischen Gedanken und Emotionen gebrochen werden.
Er ist eine stellenweise naive Figur, die lange an ihren Wertvorstellungen festhält (Herforth 2019: 78). Obwohl er Zweifel an O’Brien hat, vertraut er diesem dennoch und hofft auf seine Hilfe. Er misstraut Julia, hegt jedoch keinen Verdacht gegenüber Mr. Charrington.
Winston Smith ist eine komplexe Figur, die die Leser dazu anregt, über die Bedeutung von Freiheit, individueller Identität und Widerstand nachzudenken. Sein Charakter verkörpert die menschliche Sehnsucht nach Autonomie und die Unmöglichkeit, sich von einer totalitären Gesellschaft völlig zu befreien.
Julia
Julia ist eine Angestellte in der Romanabteilung des Ministeriums für Wahrheit und Winstons Geliebte. Sie wird als junge Frau von 26 Jahren beschrieben, hat »volles dunkles Haar, ein sommersprossiges Gesicht und […] ihre Bewegungen [sind] flink und athletisch« (16).
Zuerst misstraut Winston ihr, denn er nimmt sie als Bedrohung wahr: Sie trägt eine rote Schärpe, das Abzeichen des Junioren-Anti-Sex-Bunds, und wirkt »wie die Verkörperung des offiziellen politischen Leitbildes« (Ellenrieder 2021: 22): Sie ist Führerin bei den Kleinen Spionen, Bannerträgerin bei den Demonstrationen und engagiert sich an drei Abenden die Woche ehrenamtlich für den Junioren-Anti-Sex-Bund.
Allerdings verbirgt auch sie hinter ihrer parteikonformen Fassade eine rebellische Gesinnung. Im Gegensatz zu Winston ist Julia eine impulsivere und lebenslustigere Figur. Sie hat eine rebellische Natur und findet eigene Wege, um dem totalitären Regime zu trotzen. Sie beweist zum Beispiel ihren Mut, indem sie Winston ihre Liebesbotschaft zusteckt. Julia genießt kleine Freuden des Alltags wie Schokolade oder Kaffee und lebt im Hier und Jetzt, ohne sich zu sehr mit der politischen Lage zu beschäftigen. Sie hat wenig Interesse an Winstons Wahrheitssuche und schläft zum Beispiel bei der Lektüre von Goldsteins Buch ein (vgl. 296).
Julia wird als sinnliche Figur dargestellt, die ihre Sexualität schon vor Winston vor allem mit Parteimitgliedern ausgelebt hat. Sie ist offen für ihre sexuellen Bedürfnisse und verwendet ihre Attraktivität als Mittel, um Freude und Verbindung zu finden. Ihre Beziehung mit Winston wird zu einem symbolischen Akt der Rebellion gegen die staatliche Kontrolle über den Körper und die Intimität der Menschen.
Im Gegensatz zu Winston, der oft idealistisch und philosophisch ist, ist Julia pragmatisch und auf ihr eigenes Wohlergehen bedacht. Winston sagt über sie, sie wäre »nur unter der Gürtellinie eine Rebellin« (210), also eine Rebellin nur insofern, als dass sie ihre eigenen Bedürfnisse ausleben will.
Sie glaubt nicht an eine große Revolution oder einen vollständigen Wandel des Systems, sondern an die Maximierung ihres eigenen Glücks inmitten der restriktiven Gesellschaft. Ihre Rebellion ist also nicht idealistisch motiviert. Sie ist bereit, Kompromisse einzugehen und ihre rebellischen Handlungen zu verbergen, um zu überleben.
Oft zeigt sie bei Themen wie Parteipropaganda einen »schärferen Realitätssinn« (Herforth 2019: 80) als Winston und äußert Vermutungen wie die, dass die Bruderschaft nur eine Erfindung der Partei sein könnte.
Julia ist der Meinung, dass die Partei nicht bis zu den wahren Gefühlen der Menschen vordringen kann – zum Schluss wird sie jedoch eines Besseren belehrt. Denn wie Winston verrät sie ihre Liebe unter Folter und verlässt das Ministerium für Wahrheit als eine gebrochene und »umerzogene« Person. O’Brien merkt allerdings an, dass ihre Umerziehung viel schneller und reibungsloser verläuft als Winstons (vgl. 351).
O’Brien
O’Brien tritt zunächst als Mitglied des inneren Kreises der Partei und Winstons Verbündeter auf, denn er nimmt ihn und Julia scheinbar in die Widerstandsbewegung auf. Später aber wird er als Verräter und Agent der Gedankenpolizei entlarvt. Er ist ein Doppelspieler und eine wie Winston und Julia mehrdimensionale Figur, die eine zentrale Rolle in der Handlung spielt.
Er übt schon von Anfang an eine seltsame Faszination auf Winston aus. Er ist etwa 48 Jahre alt und wird als »großer stämmiger Mann mit Stiernacken und einem groben, launischen, brutalen Gesicht« (17) beschrieben. Er hat einen besonderen Charme und die Angewohnheit, seine Brille auf der Nase zurechtzurücken, was ihm einen Anschein von Kultiviertheit verleiht. Winston fühlt sich stark zu ihm hingezogen, was unter anderem an dem »Kontrast zwischen O’Briens weltmännischen Auftreten und seiner Preisboxer-Statur« (18) liegt. Winston vermutet in ihm einen Gleichgesinnten, einen Verbündeten in seiner Rebellion, aber vor allem wirkt er »wie ein Mensch, mit dem man reden könnte« (ebd.). Er schreibt das Tagebuch für ihn, ohne zu wissen, dass O’Brien ihn sieben Jahre lang beschattet und es tatsächlich liest.
Diesen Eindruck hat Winston selbst dann noch, als O’Brien ihn im Ministerium für Wahrheit foltert: Hier ist O’Brien der »Peiniger«, der »Beschützer«, der »Inquisitor«, der »Freund« (331). Winston fühlt noch immer die starke Verbundenheit zu ihm, obwohl er ihn den schlimmsten Schmerzen aussetzt. Dabei wirkt O’Brien nicht sadistisch: Stattdessen geht er geduldig und gelassen vor, diskutiert mit Winston und macht auf ihn den Eindruck eines Arztes, eines Lehrmeisters oder eines Priesters, »der lieber erklärt und zu überzeugen versucht, anstatt zu bestrafen« (333). Dass er nicht an Strafe interessiert ist, betont er selbst (vgl. 343) – stattdessen möchte er Winston »heilen« (ebd.).
Winston empfindet ihn als allwissend und ihm intellektuell überlegen (vgl. 347). O’Brien ist ein äußerst geübter Verhörer, denn er kann oft erraten, was Winston denkt (vgl. 332f., 345, 353, 368). Er enthüllt außerdem seine Stärke in der theoretischen Diskussion – unter anderem hat auch er am Goldstein-Buch mitgeschrieben (vgl. 354).
O’Brien vereint zahlreiche Gegensätze in sich. Er ist »massig«, aber »anmutig«, »verträumt«, aber »streng« (347). Er ist vollständig von den Lehren der Partei überzeugt, er »tut nicht einfach nur so« (ebd.). Diese Widersprüchlichkeit steht ganz im Sinne von Doppeldenk. O‘Brien steht für die Macht der Partei und ihre Möglichkeit, die Realität und die sich darin befindenden Menschen zu beherrschen und zu kontrollieren.
O’Brien kann als Repräsentation des Großen Bruders verstanden werden. Während man den Diktator selbst nie kennenlernt, ist O’Brien sehr präsent: Einen Hinweis auf die Verbindung der beiden und auf O’Briens wahre Identität erhält Winston schon früh. In seiner Fantasie vermischen sich die Gesichter des Großen Bruders und O‘Briens: »Das Gesicht des Großen Bruders kam ihm in den Sinn und verdrängte O’Briens Züge.« (142)
Der Große Bruder
Wie Emmanuel Goldstein tritt der Große Bruder nie selbst im Roman auf. Vielmehr ist er ein Konzept, eine symbolische Figur und damit die Verkörperung des Leitbilds der Partei.
An der »Figur« des Großen Bruders lässt sich das Konzept von Wahrheit in »1984« erklären: Wahr ist stets das, was die Partei als wahr befindet. Da eine objektive Realität nicht greifbar ist, kann das Rätsel um den Großen Bruder nie gelöst werden. Manche Literaturwissenschaftler gehen so weit, zu behaupten, er existiere überhaupt nicht als reale Person (vgl. Cole 2020: 109). Es gibt ihn nur im Prinzip des Doppeldenk, indem er eine reale Person ist und zugleich nicht ist (ebd.). Anders gesagt: Er ist weder real noch fiktiv, er existiert nur in den Köpfen der Menschen, einfach weil er existieren könnte.
Daher kann O’Brien auch behaupten, er könnte niemals sterben – denn er hat niemals wirklich gelebt. Der Große Bruder wird alle Zeiten überdauern, weil die Partei das so will. Er ist ein Prototyp eines Diktators des 20. Jahrhunderts (vgl. Cole 2020: 109). Sein Gesicht schwebt nicht nur metaphorisch gesehen über allem – es sind überall Plakate damit aufgehängt, die jeden ständig zu beobachten scheinen. Er ist etwa 45 Jahre alt, »schwarzhaarig, mit schwarzem Schnurrbart« (24) und hat »ansprechende[...], wenn auch schroffe Züge[...]« (5). Sein Gesicht ist eines, »das Macht ausstrahlte und auf dem eine geheimnisvolle Ruhe lag« (24). Diese Beschreibung verdeutlicht die Ähnlichkeiten des Großen Bruders mit Josef Stalin, dem Diktator und Errichter eines totalitären Staates in der Sowjetunion in den 1920er- bis 1950er-Jahren (vgl. Cole 2020: 109).
Emmanuel Goldstein
Emmanuel Goldstein ähnelt der Figur des Großen Bruders, denn auch Goldstein ist eher als symbolische Figur anzusehen, die im ganzen Handlungsverlauf unsichtbar bleibt. Es wird nicht aufgelöst, ob es ihn nun tatsächlich gibt oder nicht.
Goldstein ist der Staatsfeind Nummer Eins, auf den sich alle Aggressionen der Bürger und Bürgerinnen zum Beispiel während des Zwei-Minuten-Hasses richten. Goldstein dient als Feindbild. Er hat »ein hageres jüdisches Gesicht, einen breiten zotteligen Kranz weißer Haare und ein Ziegenbärtchen – ein kluges Gesicht, das doch irgendwie verabscheuungswürdig war« (20). Auf seiner langen schmalen Nase sitzt eine Brille und er erinnert Winston an ein Schaf (vgl. ebd.).
Er ist selbst früher einmal ein Mitglied der Partei gewesen und hat für die sozialistischen Ideen der früheren Zeit gekämpft. Dann wollte er sich allerdings gegen die Revolution der Partei richten und entkam dem Todesurteil nur knapp. Seitdem ist er untergetaucht und dazu hat er eine geheime Untergrundorganisation namens »Die Bruderschaft« ins Leben gerufen und in einem Buch namens »Die Theorie und Praxis des oligarchischen Kollektivismus« (oft einfach nur »das Buch« genannt) die Funktionsweise der Partei erklärt.
Dieses Buch wurde jedoch von O’Brien und verschiedenen anderen Parteifunktionären verfasst, wie dieser Winston zum Schluss erklärt (vgl. 354). Winstons Frage, ob es die Bruderschaft gebe, beantwortet O’Brien nicht. Ihm zufolge wird es Winston nie möglich sein, das herauszufinden (vgl. 352). Es wäre durchaus möglich, dass die Partei Goldstein und die Bruderschaft nur erfunden hat, um mögliche Gegner des Systems leichter ausfindig zu machen. Goldstein steht für die Ziele der Bruderschaft und wie beim Großen Bruder bleibt es offen, ob es ihn gibt oder nicht.
Der Name und die Figur Emmanuel Goldstein sind eine Anspielung auf Leo Trotzki. Trotzkis richtiger Name ist Lew D. Bronstein (vgl. Böker 2020: 2). Dieser war ein russischer Revolutionär, der in der Sowjetunion unter Stalin zur Hassfigur und zum Verräter erklärt worden war.
Mr. Charrington
Mr. Charrington ist eine Nebenfigur und erinnert an O’Brien: Auch er gibt sich zu Beginn als Verbündeter Winstons aus und enthüllt zum Schluss dann seine wahre Identität als Agent der Gedankenpolizei.
Zu Beginn spielt er die Rolle des Antiquitätenhändlers in einem der Prole-Viertel. Er ist »um die Sechzig […], gebrechlich und leicht gebeugt, mit einer langen, gutmütigen Nase und einem milden Blick, der von den dicken Brillengläsern leicht verzerrt wurde.« (129). Er hat fast weißes Haar, aber buschige dunkle Augenbrauen und trägt eine alte Jacke aus schwarzem Samt (vgl. ebd.). Winston nimmt ihn als Intellektuellen wahr, »als sei er früher einmal Literat gewesen oder vielleicht auch Musiker« (ebd.). Er hat eine weiche Stimme und nur einen schwachen Akzent, untypisch für einen Prole.
Winston sieht ihn eher als Sammler denn als Händler, der seine Faszination für die Dinge der Vergangenheit teilt (vgl. 203). Dadurch wird er für Winston zur Vertrauensperson. Er verkauft ihm das Tagebuch und bei Winstons zweitem Besuch den gläsernen Briefbeschwerer. Er zeigt ihm einen alten Stahlstich von der Kirche St. Clements Danes und macht ihn mit dem Kinderreim bekannt, von dem Winston bis zum Schluss besessen ist. Er vermietet Winston den leeren Raum über dem Altwarengeschäft, in dem sich Winston und Julia für ihre sexuellen Abenteuer treffen.
Nach zwei Dritteln des Romans erscheint Charrington jedoch in einem neuen Licht: Hinter dem Stich der Kirche kommt ein Telemonitor zum Vorschein und Charrington stellt sich als Spitzel der Gedankenpolizei heraus. Er war nie ein wirklicher Verbündeter, sondern manipulierte Winston, um zu sehen, wie weit dieser gehen würde.
In der Szene der Gefangennahme wird außerdem deutlich, dass Charrington einen hohen Rang im Inneren der Partei besitzen muss, da er den anderen Männern Befehle erteilt. Sein Akzent verschwindet und er verändert sich auch äußerlich: Sein Haar ist schwarz und er trägt keine Brille mehr. »Sein Körper war aufrechter und er schien gewachsen zu sein« (305), er wirkt plötzlich aufmerksamer und jünger, denn er hat »das wachsame, kalte Gesicht eines Mannes von etwa fünfunddreißig Jahren« (306).
Katharine
Katharine ist Winstons Ehefrau, von der er jedoch seit elf Jahren getrennt lebt. Sie wird als »große, blonde junge Frau mit gerader Haltung und geschmeidigen Bewegungen« (92) beschrieben. Ihr Gesicht ist »adlerartig« und »kühn« (ebd.), allerdings empfindet Winston ihren Verstand als leer und dumm: Denn Katharine verkörpert die typische Parteianhängerin, die bereit ist, sich den Regeln und Vorschriften des Parteistaates bedingungslos anzupassen. Sie akzeptiert die Ideologie der Partei, ohne zu hinterfragen, und hat die Normen und Erwartungen des Systems vollkommen verinnerlicht.
Katharine zeigt wenig Interesse an persönlichen Gedanken oder individueller Freiheit. Sie ist nicht in der Lage, eigenständig zu denken oder sich gegen die Unterdrückung aufzulehnen. Stattdessen akzeptiert sie widerstandslos die Überwachung und Kontrolle des Staates.
Ihre Beziehung zu Winston hielt nur ein bisschen über ein Jahr, denn Katharine prägte sie durch Distanziertheit und Kälte. Winston merkt an, dass er mit ihr zusammengeblieben wäre, wenn der Sex nicht gewesen wäre (vgl. 92): Dieser musste stattfinden, da es in Katharines Worten die »Pflicht der Partei gegenüber« (93) sei, ein Kind zu zeugen. Jedoch lag sie währenddessen nur kalt und steif da, was Winston nicht ertrug.
Katharine steht für die Parole der Partei, die Keuschheit predigt. Lust ist verpönt und wird vor allem Frauen von jungen Jahren an durch Konditionierung abgewöhnt (vgl. 94). Ihre Figur unterstreicht die Trostlosigkeit und Vereinsamung, die aus dem Verlust von individueller Freiheit und authentischen Beziehungen resultiert.
Syme
Syme ist ein Sprachwissenschaftler, der an der neuen Ausgabe des Lexikons für die Staatssprache Neusprech im Wahrheitsministerium arbeitet. Er ist »ein kleiner Mann, […] hatte dunkles Haar und große, hervortretende Augen, die traurig und spöttisch zugleich wirkten und einen genau zu mustern schienen, wenn er sich mit einem unterhielt« (68).
Syme begegnet seiner Arbeit mit fanatischer Leidenschaft und geht ihr mit Perfektionismus nach. Syme handelt nach dem Prinzip des Doppeldenk und hat die Parteiideologie verinnerlicht. Er ist »boshaft linientreu« (69) und genießt beispielsweise die grausamen öffentlichen Hinrichtungen von Systemverrätern (ebd.).
Winston empfindet es oft als angenehm, sich mit ihm zu unterhalten, denn Syme ist ein Experte auf dem Gebiet des Neusprech. Er ist äußerst intelligent, was Winston jedoch insgeheim als Problem wahrnimmt: »Eines Tages, dachte Winston mit plötzlicher Überzeugung, wird Syme vaporisiert werden. Er ist zu intelligent. Er sieht viel zu klar und spricht zu offen. Die Partei mag solche Leute nicht.« (74). Und genauso tritt es auch ein: Im zweiten Teil des Romans verschwindet er auf einmal und es ist so, als hätte er niemals existiert (vgl. 198f.).
Tom Parsons
Tom Parsons ist Winstons Nachbar und Kollege. Er ist »ein stämmiger Mann mittlerer Größe mit blondem Haar und einem froschähnlichen Gesicht« (77). Er ist 35 Jahre alt, aber er wirkt wie ein zu groß geratener Junge und scheint immer zu schwitzen (vgl. 78). Ellenrieder bezeichnet Parsons als »ein Paradebeispiel für den dumm gehaltenen, in jeder Hinsicht konditionierten nützlichen Idioten« (Ellenrieder 2021: 33f.).
Er hat eine Frau, die erst dreißig ist, aber viel älter und ausgezehrt wirkt (vgl. 30). Die ganze Familie Parsons ist äußerst loyal gegenüber dem Parteistaat und zeigt eine bedingungslose Unterstützung für die Ideologie der Partei. Sie glauben fest an die Prinzipien der Partei und nehmen aktiv am öffentlichen Leben und den Aktivitäten der Partei teil.
Die Kinder – ein kleines Mädchen und ein kleiner Junge – regieren den Haushalt der Familie. Die Mutter scheint in Angst vor ihnen zu leben, denn sie sind Mitglieder bei der Kinderorganisation »Die Spione« und mit brennendem Eifer davon besessen, Systemverräter auszuliefern. Winston prophezeit, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis sie die Eltern als Gedankenverbrecher an die Partei ausliefern (vgl. 35) und wieder behält er mit der Vermutung Recht: Er begegnet Parsons zum Schluss im Ministerium für Liebe. Seine Tochter hatte ihn im Schlaf »Nieder mit dem Großen Bruder!« (318) murmeln hören und ihn sofort der Gedankenpolizei ausgeliefert.
Ampleforth
Auch Ampleforth ist ein Kollege Winstons im Ministerium für Wahrheit. Er ist »ein freundlicher, ungeschickter, verträumter Mensch […], der sehr haarige Ohren hatte« (59) und ein großes Talent als Dichter ist. Sein Job ist es, Gedichte so umzuschreiben, dass sie der offiziellen Parteilinie entsprechen, und daraus sogenannte »endgültige Texte« (59) zu machen.
Auch Ampleforth trifft Winston in den Folterkammern des Ministeriums für Liebe wieder. Er hat das Wort »Gott« am Ende einer Verszeile stehengelassen, weil es keine andere Lösung gab, einen alternativen Reim dafür zu finden, und ist dafür verhaftet worden. Daran zeigt sich seine tiefe Liebe zur Literatur – Winston empfindet ihn als »Pedanten« (314) in seinem Spezialgebiet, der auch in einem Moment wie der Gefangennahme und der Aussicht endloser Folter noch über englische Lyrik diskutiert (vgl. 315). Ampleforth wird schließlich aufgerufen und in Raum 101 gebracht – es kann vermutet werden, dass auch er der Gehirnwäsche zum Opfer fällt.
Winstons Familie
Winston erinnert sich kaum an seine Familie. Im Laufe des Romans tauchen immer wieder verschwommene Erinnerungen auf, vor allem in Form von Träumen.
Sein Vater verschwand irgendwann während der ersten großen Säuberungswelle in den 1950er-Jahren und Winston weiß nur noch, dass er ein »dunkelhaarige[r], dünne[r] Mann [war], der stets gepflegte dunkle Kleidung trug (Winston erinnerte sich besonders an die sehr dünnen Schuhsohlen seines Vaters) und eine Brille« (41f.).
Er ließ Winston mit seiner Mutter und seiner kleinen Schwester zurück. Seine Mutter »war eine große, stattliche, eher schweigsame Frau, die sich bedächtig bewegte und wundervolles blondes Haar hatte« (41). Mit seiner Mutter assoziiert er vor allem das Gefühl der Liebe und den Zusammenhalt in der Familie. Sie verliert ihren Antrieb, nachdem der Vater verschwindet, doch sie kümmert sich immer liebevoll um die Kinder. Die Schwester ist »ein winziges, kränkelndes, sehr stilles Kind von zwei oder drei Jahren, dessen Gesicht vor Magerkeit affenartig wirkte« (217).
Sie wohnen zu dritt in einem spärlich eingerichteten dunklen Zimmer. Winston fühlt Schuldgefühle, da er mit der Mutter als Kind immer um die kargen Mahlzeiten stritt. Einmal wird eine Schokoladenration ausgegeben, von der er die ganze Portion für sich verlangt. Nachdem die Mutter ihm drei Viertel und seiner Schwester nur eines reicht, reißt Winston der Schwester die Schokolade aus der Hand und läuft davon.
Als er zurückkommt, sind sie verschwunden. Zu diesem Zeitpunkt ist Winston zehn oder elf Jahre alt. Er findet nie heraus, was mit seiner Familie geschehen ist, obwohl er vermutet, dass sie entweder tot oder in ein Zwangsarbeitslager geschickt worden sind (vgl. 220).
Winston trägt seine Schuldgefühle bis ins Erwachsenenalter mit sich. In seinen Träumen sitzt seine Mutter mit der Schwester als Baby in ihren Armen in einer Art unterirdischem Raum unter Wasser. Er fühlt Trauer und Schuld, denn er weiß, dass sie auf irgendeine Art ihre Leben für das seine gegeben haben – eine Tat und eine Tragödie, die zu den aktuellen Zeiten von der Partei nicht geduldet wäre (vgl. 42f.). Die Mutter steht also für die Form der reinen Liebe, die die Partei auszurotten versucht.
Veröffentlicht am 31. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 31. Juli 2023.